Entschleunigung ist eines dieser Buzz-Words wie Work-Life-Balance, die man seit geraumer Zeit auf allen Kanälen liest und hört, meist in Zusammenhang mit vermeintlich inspirierendem Lifestyle-Geplapper. Was steckt dahinter?
Der Begriff Entschleunigung
Im Grunde steckt hinter dem Terminus Entschleunigung der bewusst vorangetriebene Prozess, die erlebte Geschwindigkeit des Alltags zu verlangsamen. Wir kennen alle Texte, die mit Binsenwahrheiten à la "wir leben in bewegten Zeiten", "von überall her prasseln Informationen auf uns ein" oder "wir leiden unter zunehmend viel Stress". Das ist natürlich alles richtig. Und all diesen Beschleunigern unseres Erlebten tritt Entschleunigung entgegen: dieses Konzept soll uns dabei helfen, einen Schritt (oder mehrere) zurückzutreten, innezuhalten und das Leben oder seine Teilaspekte etwas achtsamer wahrzunehmen. Im englischsprachigen Raum wird diese Bewegung als Slow Movement bezeichnet.
Um die Bedeutung etwas klarer zu fassen, eignet sich die folgende Gegenüberstellung. Beschleunigung bedeutet in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu erledigen, erleben etc. Entschleunigung ist dagegen das Kontrastprogramm: angemessene Zeit pro Aufgabe, Vorhaben und Projekt. Oder anders ausgedrückt: Entschleunigung ist die Flucht aus der Beschleunigung.
Warum sollte ich regelmäßig entschleunigen?
Prinzipiell ist es eine gute Idee. Es hat viel mit den Ideen der Achtsamkeit gemein: Das Tempo im Alltag drosseln, auf das Wesentliche fokussieren, Phänomene bewusst wahrnehmen, anstatt alles über sich ergehen zu lassen und vieles nicht klarsichtig und gewollt zu registrieren. Es mutet auch als Binsenwahrheit an, wenn wir feststellen, dass wir Gedanken und Gefühle umso mehr in einer gewissen Tiefe erleben, je mehr wir uns auf nur Ausgewähltes konzentrieren. Das liegt einfach in der Natur der Sache: je mehr Zeit man hat, desto weniger hetzt man. Und dass Hetzen jeglicher Art eine schlechte Idee ist, ist auch nicht neu. Insofern hat bewusste Entschleunigung als Versuch, aus seinem Leben das Beste herauszuholen, eine absolute Berechtigung.
Ideen für Entschleunigung im Alltag
Entschleunigung kann man auch als ein anderes Wort für Abschalten, Entspannung und äußeren und inneren Rückzug verstehen. Und in diesem Sinne gibt es so Einiges, was man regelmäßig tun kann, um der Hetze und dem enormen Tempo des täglichen Lebens kurzzeitig oder langfristig zu entkommen. Hier haben wir einige Ideen in acht Oberkategorien zusammengestellt:
Ordnung
Ja, noch so eine Binsenwahrheit: Ordnung ist das halbe Leben. Das Gute an Binsenwahrheiten ist, dass sie stimmen. Ordentlich zu sein, kann dir unfassbar viel Zeit sparen: immer alles an seinen Platz zurückzulegen, bedeutet, du musst weniger aufräumen. Unliebsame 5-Minuten-Aufgaben sofort zu erledigen, bedeutet, dass du nicht irgendwann eine Stunde am Stück irgendetwas machen musst, das dir keinen Spaß macht. Ordnung hat viel mit Disziplin, Rücksicht und auch Faulheit bzw. deren Abwesenheit zu tun. Und diese Dinge können dir viel Zeit sparen und darum geht es doch: unterm Strich mehr Zeit für dich und alles, was dir Freude bringt, zu haben.
Im weitesten Sinne gehören zum Thema Ordnung auch alle möglichen Pläne: Arbeitspläne, Putzpläne, selbst der Plan, was im Urlaub ansteht und was nicht. Dabei gilt: je besser der Plan und je früher die Planung, desto besser das Ergebnis. Es zahlt sich einfach immer aus, etwas mehr Zeit in die Vorbereitung zu investieren, um im Nachhinein weniger bis gar keine Sorgen zu haben.
Achtsamkeit
Das bewusste Erleben haben wir bereits angesprochen. Stichwort Achtsamkeit bzw. Mindfulness. Das heißt nichts anderes, als dass man immer möglichst nur eine Sache tun soll, diese allerdings bewusst und voller Aufmerksamkeit. Eindrücke werden intensiver, man schafft mehr positive Erfahrungen und Erinnerungen und auch der Fokus auf Genuss jeglicher Art ist absolut achtsam. Das ist doch das, was wir wollen: die eigene Freude auskosten. Das bedeutet allerdings auch tatsächlich bewusstes Auseinandersetzen mit sich selbst. Dazu gehört zum Beispiel zu registrieren, wenn man mal nicht achtsam ist, sondern wieder zehn Sachen gleichzeitig husch, husch machen will. Also auch ein bisschen Arbeit an sich, die sich jedoch absolut auszahlt.
Ob du in einer Situation achtsam warst, kannst du ganz einfach kontrollieren, wenn du jemandem von ihr erzählst: fällt die Erzählung eher kurz aus, weil dir nicht viel einfällt, dann warst du wohl mit dem Kopf woanders, d. h. nicht achtsam. Also achte auf dich und das, was du tust.
Halte dir vor Augen: Achtsamkeit und damit auch Entschleunigung ist weniger zu machen und dabei erheblich mehr zu erleben.
Grenzen
Viele von uns haben es sich angewöhnt zu allem Möglichen ja zu sagen. Aus Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Konfliktscheuheit, aber auch weil man möglichst viel erleben und mitmachen will. Da geht dann irgendwann Quantität vor Qualität, eine logische Konsequenz, und plötzlich verwischen jegliche Grenzen. Letztere sind aber enorm wichtig, damit klar ist, wo A endet und B anfängt und wir uns darauf einstellen und bei Bedarf vorbereiten können. Lass uns daher etwas sehr Simples festhalten:
DU MUSST MANCHMAL NEIN SAGEN.
Und noch etwas:
NEIN ZU SAGEN IST WICHTIG UND OKAY.
Das vergisst du vielleicht manchmal, aber du musst nicht überall dabei sein, du musst nicht jedem helfen und du musst auch nicht alles tun, was du theoretisch tun könntest. Vor allen Dingen, wenn du das eigentlich gar nicht willst. Manchmal nein zu sagen ist kein Egoismus, das ist Realismus: du hast begrenzte Kapazitäten und langfristig über seine Kapazitäten leben zu wollen ist der kürzeste Weg in den Wahnsinn. Also sag ja, wenn es sich richtig anfühlt und sag genauso nein, wenn sich das in der entsprechenden Situation richtig anfühlt. Denn es ist richtig.
Und übrigens: du musst dich auch nicht rechtfertigen. Rechtfertigung ist immer ein Schuldgeständnis und wirkt so, als hättest du etwas verbrochen. Hast du aber nicht, du hast ja nichts getan, nur etwas abgelehnt und das aus guten Gründen. In der Regel gehen diese guten Gründe auch niemanden etwas an und du musst sie niemandem ungefragt servieren, nur um das Gefühl zu haben, dass die Person dich dann verstehen wird. Sie muss dich nicht verstehen, es muss ausreichen, dass du nicht kannst, willst oder sonstwas. Nein halt.
Natürlich gibt es Ausnahmen im Job, im Freundeskreis, in einer Partnerschaft und bei der Erziehung, aber auch da sind Grenzen wichtig. Und jede Person sollte sie haben und entsprechend Respekt für sie einfordern, wenn irgendjemand sie absichtlich oder unabsichtlich übertritt.
Ernährung
Essen ist ein Fest der Sinne und dafür solltest du dir Zeit nehmen. Zwischendurch, unterwegs oder zu schnell essen sind alles schlechte Ideen. Wenn du isst, führst du deinem Körper Nährstoffe zu. Das ist etwas Gutes. Und du solltest es auskosten: jeden Geschmack, jede Konsistenz und Textur, jeden Bissen und jeden Schluck. Das geht allerdings nur dann wirklich, wenn du Zeit und Ruhe dafür hast. Etabliere für dich feste Routinen, z. B. morgens immer frühstücken, ohne aufs Handy zu schauen. Oder aber erkläre deine Mittagspause zur heiligen Zeit, die weder verschoben oder abgesagt, noch vergessen oder gar verkürzt wird. Diese kleine kulinarische Auszeit hilft dir dabei für die zweite Hälfte des Tages Energie zu tanken und dann leistungs- und aufnahmefähiger zu sein.
Ach so, noch was, kennst du vielleicht von Mutti: gut kauen! Hilft der Verdauung und verlängert das Geschmackserlebnis.
Alltag
Der Morgen fängt für viele mit der Schlummerfunktion an. Dabei stresst das Hin- und Her wahrlich mehr als es nützt. Wenn du morgens nicht gut aus dem Bett kommst, ist das nur ein Symptom. Die Ursache liegt woanders und dem musst du auf die Schliche kommen, anstatt dich jeden morgen bewusst im Dämmerzustand unnötig zu quälen. Schlaf ist grundsätzlich etwas sehr Wichtiges und sollte dir entsprechend viel bedeuten. Das ist die Zeit der absoluten Entspannung, des Loslassens, des unterbewussten Verarbeitens und auch des Wiederauffüllens der Akkus. Du lädst dein Handy doch auch immer voll, also warum dich selbst nicht?
Vermeide Multitasking: dieses Märchen vom erfolgreichen Menschen, der spielend leicht tausend Sachen jongliert ist gelinde gesagt Blödsinn. Weniger ist mehr und mehr ist weniger. Vielleicht kriegst du es hin alles mögliche irgendwie unter einen Hut zu kriegen, aber das wird nicht schön, es wird halt nur "irgendwie". Die besten Ergebnisse erzielst du mit Konzentration, Leidenschaft und vor allem genug Zeit und das ist das Gegenteil von Multitasking.
Gönne dir auch regelmäßig digitales Detox. Das muss nicht immer ein Wochenende im Wald sein. Es reicht schon, wenn du anfängst, abends das Handy 2-3 Stunden vor dem Zubettgehen auszumachen oder zumindest auf lautlos stellst und ignorierst. Abends solltest du zur Ruhe kommen und nicht noch 20 Artikel lesen, 10 E-Mails beantworten und 5 unnötige Sachen shoppen. Und schon gar nicht musst du 24/7 erreichbar sein. Vielleicht hilft dir das: die spannendsten Menschen sind am schwersten zu erreichen. Du bist einer dieser spannendsten Menschen, also verhalte dich auch so. ;-)
Auszeiten
Das ist wahrscheinlich das wichtigste Kapitel dieses Beitrags. Auszeiten sind das A und O. Den Schlaf klammern wir an dieser Stelle mal aus, es geht nur um bewusste, erlebte Pausen. Dazu ein paar Ideen.
Mach regelmäßig Pausen, egal was du gerade tust. Pausen helfen kurz zur Ruhe zu kommen, sich zu sammeln und können enorm dazu beitragen, dass man hinterher umso besser in dem wird, was man macht.
Bei all deinen Plänen: vergiss nie, Zeitpuffer einzubauen. In der Regel verlaufen viele Dinge nicht nach Plan und es macht Sinn, viel mehr als genug Zeit einzuplanen. Und das ist überhaupt nicht schlimm, denn das Beste, was dir passieren kann, ist, dass du früher fertig bist, weil du viele Puffer nicht gebraucht hast. Da wird sich niemand beschweren. Wenn deine Pläne aber nicht genug Zeit für Verzögerungen enthalten, dann werden so einige Leute unzufrieden sein und du wahrscheinlich als erstes.
Plane auch mal Planlosigkeit: Blocke dir einen Tag im Monat oder alle zwei Wochen, an dem du morgens aufstehst ohne jegliche Pläne. Einfach damit du mal Zeit hast, in den Tag hineinzuleben, ohne Verpflichtungen und ohne Stress. Du wirst sehen, es ist schön, mal nichts zu tun.
Plane auch deine Urlaube frühzeitig, damit du sie genießen kannst. Vieles lässt sich im Vorfeld reservieren, sodass man vor Ort nicht hetzen muss. Aber packe deinen Urlaub nicht zu voll mit Aktivitäten, vergiss auch da die Planlosigkeit nicht, denn dein Urlaub ist die perfekte Zeit, um mal etwas Langeweile zu zelebrieren.
Körperliches
Du wirst es geahnt haben, aber in dieser Liste kommt man um Bewegung nicht herum. Das kann Sport jeglicher Art sein, aber auch Yoga, Meditation oder ein Spaziergang. Das ist letzen Endes unerheblich. Jede Art von Bewegung ist wichtig, um zu entschleunigen, denn sie zwingt dich, dich primär auf sie zu konzentrieren. Da bleiben nicht so viele Kapazitäten für viel anderes und gerade das ist gut. Eine Tätigkeit, die dich dazu bringt, anderes loszulassen, ist immer Gold wert. Das gilt genauso für Sexualität. Entspanne und genieße die Sinneseindrücke.
Auch Wellness und Körperpflege sind gute Möglichkeiten, um einen Gang zurückzuschalten. Du kannst dich nicht massieren lassen und nebenher noch etwas anderes machen. Also genieße durchgeknetet zu werden. Oder gönn dir ein Körperpeeling. Mach etwas, dass dir dabei hilft, loszulassen. Und sei es "nur" nach dem Duschen im Bademantel mit einer Gesichtsmaske auf dem Sofa zu dösen: auch das ist immer eine gute Idee.
Meditation übrigens ebenso. Es ist nicht für jeden etwas und viele haben vielleicht seltsame Vorstellungen, was Meditieren bedeutet, aber es ist ein fantastisches Mittel, um sich selbst auszubremsen. Und es ist beides, eine körperliche und eine geistige Erfahrung.
Geistiges
Es klingt vielleicht etwas banal, aber suche dir ein Lebensmotto oder ein Mantra. Etwas, das beschreibt, wie du leben möchtest und dich eben hieran erinnert, wenn du es dir selbst vor Augen hältst. So kannst du dich immer daran erinnern, was dir wichtig ist und das hilft zu hinterfragen, ob das, was man gerade tut, auf dieses Ziel einzahlt oder nicht.
Vergiss auch nie, dass alles zwei Seiten hat, nicht nur Medaillen. Es ist einfach enttäuscht zu sein, wenn Pläne durchkreuzt werden oder eine Verabredung ins Wasser fällt. Ist aber auch ein bisschen der falsche Fokus. Anstatt traurig zu sein, dass etwas Geplantes ausfällt, sieh es doch mal so: "Hurra, ich hab den ganzen Abend frei und für mich allein!" Das nennt man Reframing, also quasi einem Phänomen einen anderen Rahmen verleihen oder einfach gesagt: verwandle eine negative Sichtweise in eine positive. Das bedeutet nicht, dass man sich immer grenzenlos freuen soll, wenn man versetzt wird. Es hält lediglich dazu an, das ganze Bild zu sehen und nicht nur die schlechten Seiten.
Was auch Wunder bewirken kann, wenn man der Typ dafür ist, ist Tagebuch schreiben. Den Tag noch einmal Revue passieren lassen, das Wichtigste und die eigenen Gedanken festhalten und reflektieren ist nicht nur nützliches Gehirnjogging, es führt auch oft dazu, dass man lernt, seinen Horizont selbständig zu erweitern. Es geht aber auch anders: Beim sogenannten Journaling schreibt man nicht einfach so drauf los, sondern füllt für jeden Tag eine Vorlage aus, die nach bestimmten Kriterien aufgebaut ist. So gibt es Achtsamkeitsübungen, aber auch viele andere Themen und Dinge, die man so für sich greifbar machen kann. Es gibt dabei viele Vorlagen im Internet, einfach zum Ausdrucken. Oder man spart das Papier und macht das auf dem Computer. Zudem gibt es mittlerweile so einige Bücher mit Vordrucken aller Art, die auch sehr lange halten. So kann man seine Gedanken überallhin mitnehmen.
Und jetzt bist du dran!
Wir hoffen, dass du hier einige hilfreiche Anregungen für deine Situation, für dein Leben findest konntest. Wir wünschen dir viel Freude beim Umkrempeln deines Alltags und vor allem viel und gute Entschleunigung!