Toxic Positivity - drei Holzwürfel mit verschiedenen Smileys darauf

Toxic Positivity oder wenn Optimismus und Lebensbejahung zur Qual werden

Wir leben in einer Welt, in der Optimismus trotz aller Krisen in allen Medien und in vielen Lebenssituationen als eine Art Allheilmittel positioniert wird. Frei nach dem Motto "wenn du selbst positiv bleibst, dann wird alles gut". Dabei wird Negatives gerne ausgeblendet, verkauft sich ja auch nicht so gut wie vermeintlich inspirierende Botschaften. Der absolute Fokus auf Positives, der nichts anderes mehr zulässt, ist toxisch und birgt nicht nur Gefahren für unser Wohlbefinden im Allgemeinen, sondern vor allem für unsere psychische Gesundheit im Besonderen. Welche?

Verdrängung negativer Gefühle

Wir haben alle gelernt, dass nichts einseitig ist und daraus ergibt sich auch, dass nichts nur eine Eigenschaft haben kann, z. B. nichts ist ausnahmslos gut. Alles hat Vor- und Nachteile. Die berühmte Medaille mit ihren zwei Seiten. Gleichzeitig, gerade wenn man sich mit Themen rund ums Wohlbefinden beschäftigt und vielleicht auf sozialen Medien Spruchseiten oder Coaches folgt, kann sich schnell das Bild ergeben, dass alles ganz toll werden kann, wenn man nur das richtige Mindset, eine positive Lebenseinstellung hat. Man läuft Gefahr sich auf sehr dünnes Eis der Einseitigkeit zu begeben, indem man sich dazu zwingt, nur das Gute und Schöne zu sehen. Dadurch verschwindet aber das Schlimme, Schlechte und Hässliche nicht. Vielmehr fangen wir an, diese Dinge nicht mehr zuzulassen. Das ist Verdrängung und das Gegenteil von positiv. Das Negative gehört zum Leben dazu, all die Ereignisse, Gefühle und Gedanken, die anstrengend, kräftezehrend und belastend sind. Anstatt sie zu ignorieren, weil sie zu einem angeblich positiven Mindset nicht passen, sollten wir sie annehmen und lieber das Positive im Negativen suchen, anstatt es einfach auszuklammern.

Verharmlosung von Problemen

Wenn man gerade in einer Krise steckt, dann "helfen" einem irgendwelche Leute mit lieb gemeinten Sprüchen aller Art. Niemand meint das böse, es ist vielmehr der Wunsch danach Trost zu spenden gepaart mit einer Art Hilflosigkeit in einer Situation, in der man nicht weiß, wie man trösten kann. Das Ergebnis ist dann so etwas wie "alles wird gut". Vielleicht ist das auch so, aber für den Moment ist es nicht gut und es ist vollkommen okay, das auch so zu empfinden. Heute ist es nicht gut, heute geht es mir nicht gut und morgen vielleicht auch. Das ist so und es wird nicht besser, wenn man versucht die Situation zu relativieren, ob mit rosigen Zukunftsaussichten oder anderweitig schmeichelnden Worten. Die Lösung für etwas Schlimmes ist nicht der Ersatz durch etwas Positives. Die Lösung ist vielmehr die Erkenntnis, dass es keine Lösung gibt, sondern man die Schattenseiten als solche sieht, akzeptiert und respektiert. Das ist Arbeit, emotional höchst herausfordernd und absolut sinnvoll. Denn der angemessene Umgang mit Krisen macht uns stärker.

Schuldgefühle und Ausgewogenheit

Wenn das aufs Positive fokussierte Getue der Welt sich in einer Erwartungshaltung sich selbst gegenüber festfrisst, dann kann das zu einem verschobenen Wertemaßstab führen, in dem nur noch das Gute Platz hat. Eine negative Skala gibt es plötzlich nicht, wird einfach ignoriert oder nicht gesehen. Gleichzeitig werden wir jedoch täglich mit Negativem bombardiert. Wenn wir es plötzlich nicht adäquat bewerten, einordnen und würdigen können, entstehen Konflikte in uns und irgendwann auch Schuldgefühle, weil wir uns so vorkommen, als wären wir unfähig das Leben positiv zu sehen. Das Problem ist jedoch nicht, dass wir etwa emotional impotent sind, sondern ein falsches Bild davon haben, was passiert. Es ist okay sich mal schlecht zu fühlen, es ist in Ordnung mal schlechte Laune zu haben. Solange das nicht der Dauerzustand ist, ist alles okay, denn die Summe aus allem, was wir erleben sollte nicht negativ oder positiv sein, sondern einfach okay. Es gibt kein vollkommenes Glück und Glücklichsein ist einer von zwei Polen, die gesunde Mitte ist allerdings zwischen den Polen und da ist es einfach mal okay und nicht Plus oder Minus. Insofern ist das einzige, was wir uns schulden, Ausgewogenheit – mit sich selbst, mit der Welt, mit den Vor- und Nachteilen, mit jedem Lichtstrahl und allen Schattenseiten. Und schließlich führt Ausgewogenheit zu Zufriedenheit, das deutlich realistischer und erreichbarer ist als Glück.

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